Anspra­che der Bun­des­kanz­le­rin am 18. März 2020

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Hier lesen Sie die Anspra­che im Wort­laut oder sehen Sie sich das Video an: https://video.bundesregierung.de/2020/03/18/kbyiie-200318-bki-master.mp4
Lie­be Mit­bür­ge­rin­nen, lie­be Mit­bür­ger,
das Coro­na­vi­rus ver­än­dert zur­zeit das Leben in unse­rem Land dra­ma­tisch. Unse­re Vor­stel­lung von Nor­ma­li­tät, von öffent­li­chem Leben, von sozia­lem Mit­ein­an­der — all das wird auf die Pro­be gestellt wie nie zuvor. Mil­lio­nen von Ihnen kön­nen nicht zur Arbeit, Ihre Kin­der kön­nen nicht zur Schu­le oder in die Kita, Thea­ter und Kinos und Geschäf­te sind geschlos­sen, und, was viel­leicht das Schwers­te ist: uns allen feh­len die Begeg­nun­gen, die sonst selbst­ver­ständ­lich sind.
Natür­lich ist jeder von uns in solch einer Situa­ti­on vol­ler Fra­gen und vol­ler Sor­gen, wie es wei­ter­geht. Ich wen­de mich heu­te auf die­sem unge­wöhn­li­chen Weg an Sie, weil ich Ihnen sagen will, was mich als Bun­des­kanz­le­rin und alle mei­ne Kol­le­gen in der Bun­des­re­gie­rung in die­ser Situa­ti­on lei­tet. Das gehört zu einer offe­nen Demo­kra­tie: dass wir die poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen auch trans­pa­rent machen und erläu­tern. Dass wir unser Han­deln mög­lichst gut begrün­den und kom­mu­ni­zie­ren, damit es nach­voll­zieh­bar wird. Ich glau­be fest dar­an, dass wir die­se Auf­ga­be bestehen, wenn wirk­lich alle Bür­ge­rin­nen und Bür­ger sie als IHRE Auf­ga­be begrei­fen.
Des­we­gen las­sen Sie mich sagen: Es ist ernst. Neh­men Sie es auch ernst. Seit der Deut­schen Ein­heit, nein, seit dem Zwei­ten Welt­krieg gab es kei­ne Her­aus­for­de­rung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemein­sa­mes soli­da­ri­sches Han­deln ankommt. Ich möch­te Ihnen erklä­ren, wo wir aktu­ell ste­hen in der Epi­de­mie, was die Bun­des­re­gie­rung und die staat­li­chen Ebe­nen tun, um alle in unse­rer Gemein­schaft zu schüt­zen und den öko­no­mi­schen, sozia­len, kul­tu­rel­len Scha­den zu begren­zen. Aber ich möch­te Ihnen auch ver­mit­teln, war­um es Sie dafür braucht, und was jeder und jede Ein­zel­ne dazu bei­tra­gen kann.
Zur Epi­de­mie — und alles was ich Ihnen dazu sage, kommt aus den stän­di­gen Bera­tun­gen der Bun­des­re­gie­rung mit den Exper­ten des Robert Koch-Insti­tuts und ande­ren Wis­sen­schaft­lern und Viro­lo­gen: Es wird welt­weit unter Hoch­druck geforscht, aber noch gibt es weder eine The­ra­pie gegen das Coro­na­vi­rus noch einen Impf­stoff. Solan­ge das so ist, gibt es nur eines, und das ist die Richt­schnur all unse­ren Han­delns: die Aus­brei­tung des Virus zu ver­lang­sa­men, sie über die Mona­te zu stre­cken und so Zeit zu gewin­nen. Zeit, damit die For­schung ein Medi­ka­ment und einen Impf­stoff ent­wi­ckeln kann. Aber vor allem auch Zeit, damit die­je­ni­gen, die erkran­ken, best­mög­lich ver­sorgt wer­den kön­nen.
 Deutsch­land hat ein exzel­len­tes Gesund­heits­sys­tem, viel­leicht eines der bes­ten der Welt. Das kann uns Zuver­sicht geben. Aber auch unse­re Kran­ken­häu­ser wären völ­lig über­for­dert, wenn in kür­zes­ter Zeit zu vie­le Pati­en­ten ein­ge­lie­fert wür­den, die einen schwe­ren Ver­lauf der Coro­na­in­fek­ti­on erlei­den. Das sind nicht ein­fach abs­trak­te Zah­len in einer Sta­tis­tik, son­dern das ist ein Vater oder Groß­va­ter, eine Mut­ter oder Groß­mutter, eine Part­ne­rin oder Part­ner, es sind Men­schen. Und wir sind eine Gemein­schaft, in der jedes Leben und jeder Mensch zählt.
Ich möch­te mich bei die­ser Gele­gen­heit zu aller­erst an alle wen­den, die als Ärz­te oder Ärz­tin­nen, im Pfle­ge­dienst oder in einer sons­ti­gen Funk­ti­on in unse­ren Kran­ken­häu­sern und über­haupt im Gesund­heits­we­sen arbei­ten. Sie ste­hen für uns in die­sem Kampf in der vor­ders­ten Linie. Sie sehen als ers­te die Kran­ken und wie schwer man­che Ver­läu­fe der Infek­ti­on sind. Und jeden Tag gehen Sie aufs Neue an Ihre Arbeit und sind für die Men­schen da. Was Sie leis­ten, ist gewal­tig, und ich dan­ke Ihnen von gan­zem Her­zen dafür.
Also: Es geht dar­um, das Virus auf sei­nem Weg durch Deutsch­land zu ver­lang­sa­men. Und dabei müs­sen wir, das ist exis­ten­ti­ell, auf eines set­zen: das öffent­li­che Leben soweit es geht her­un­ter­zu­fah­ren. Natür­lich mit Ver­nunft und Augen­maß, denn der Staat wird wei­ter funk­tio­nie­ren, die Ver­sor­gung wird selbst­ver­ständ­lich wei­ter gesi­chert sein und wir wol­len so viel wirt­schaft­li­che Tätig­keit wie mög­lich bewah­ren. Aber alles, was Men­schen gefähr­den könn­te, alles, was dem Ein­zel­nen, aber auch der Gemein­schaft scha­den könn­te, das müs­sen wir jetzt redu­zie­ren.
Wir müs­sen das Risi­ko, dass der eine den ande­ren ansteckt, so begren­zen, wie wir nur kön­nen. Ich weiß, wie dra­ma­tisch schon jetzt die Ein­schrän­kun­gen sind: kei­ne Ver­an­stal­tun­gen mehr, kei­ne Mes­sen, kei­ne Kon­zer­te und vor­erst auch kei­ne Schu­le mehr, kei­ne Uni­ver­si­tät, kein Kin­der­gar­ten, kein Spiel auf einem Spiel­platz. Ich weiß, wie hart die Schlie­ßun­gen, auf die sich Bund und Län­der geei­nigt haben, in unser Leben und auch unser demo­kra­ti­sches Selbst­ver­ständ­nis ein­grei­fen.
Es sind Ein­schrän­kun­gen, wie es sie in der Bun­des­re­pu­blik noch nie gab. Las­sen Sie mich ver­si­chern: Für jeman­dem wie mich, für die Rei­se- und Bewe­gungs­frei­heit ein schwer erkämpf­tes Recht waren, sind sol­che Ein­schrän­kun­gen nur in der abso­lu­ten Not­wen­dig­keit zu recht­fer­ti­gen. Sie soll­ten in einer Demo­kra­tie nie leicht­fer­tig und nur tem­po­rär beschlos­sen wer­den — aber sie sind im Moment unver­zicht­bar, um Leben zu ret­ten. Des­we­gen sind seit Anfang der Woche die ver­schärf­ten Grenz­kon­trol­len und Ein­rei­se­be­schrän­kun­gen zu eini­gen unse­rer wich­tigs­ten Nach­bar­län­der in Kraft. Für die Wirt­schaft, die gro­ßen Unter­neh­men genau wie die klei­nen Betrie­be, für Geschäf­te, Restau­rants, Frei­be­ruf­ler ist es jetzt schon sehr schwer. Die nächs­ten Wochen wer­den noch schwe­rer.
Ich ver­si­che­re Ihnen: Die Bun­des­re­gie­rung tut alles, was sie kann, um die wirt­schaft­li­chen Aus­wir­kun­gen abzu­fe­dern — und vor allem um Arbeits­plät­ze zu bewah­ren. Wir kön­nen und wer­den alles ein­set­zen, was es braucht, um unse­ren Unter­neh­mern und Arbeit­neh­mern durch die­se schwe­re Prü­fung zu hel­fen.
Und alle kön­nen sich dar­auf ver­las­sen, dass die Lebens­mit­tel­ver­sor­gung jeder­zeit gesi­chert ist, und wenn Rega­le einen Tag mal leer­ge­räumt sind, so wer­den sie nach­ge­füllt. Jedem, der in den Super­märk­ten unter­wegs ist, möch­te ich sagen: Vor­rats­hal­tung ist sinn­voll, war es im Übri­gen immer schon. Aber mit Maß; Hams­tern, als wür­de es nie wie­der etwas geben, ist sinn­los und letzt­lich voll­kom­men unso­li­da­risch.
Und las­sen Sie mich auch hier Dank aus­spre­chen an Men­schen, denen zu sel­ten gedankt wird. Wer in die­sen Tagen an einer Super­markt­kas­se sitzt oder Rega­le befüllt, der macht einen der schwers­ten Jobs, die es zur­zeit gibt. Dan­ke, dass Sie da sind für Ihre Mit­bür­ger und buch­stäb­lich den Laden am Lau­fen hal­ten. Jetzt zu dem, was mir heu­te das Drin­gends­te ist: Alle staat­li­chen Maß­nah­men gin­gen ins Lee­re, wenn wir nicht das wirk­sams­te Mit­tel gegen die zu schnel­le Aus­brei­tung des Virus ein­set­zen wür­den: Und das sind wir selbst. So wie unter­schieds­los jeder von uns von dem Virus betrof­fen sein kann, so muss jetzt auch jede und jeder hel­fen.
Zu aller­erst, indem wir ernst neh­men, wor­um es heu­te geht. Nicht in Panik ver­fal­len, aber auch nicht einen Moment den­ken, auf ihn oder sie kom­me es doch nicht wirk­lich an. Nie­mand ist ver­zicht­bar. Alle zäh­len, es braucht unser aller Anstren­gung. Das ist, was eine Epi­de­mie uns zeigt: wie ver­wund­bar wir alle sind, wie abhän­gig von dem rück­sichts­vol­len Ver­hal­ten ande­rer, aber damit eben auch: wie wir durch gemein­sa­mes Han­deln uns schüt­zen und gegen­sei­tig stär­ken kön­nen.
Es kommt auf jeden an. Wir sind nicht ver­dammt, die Aus­brei­tung des Virus pas­siv hin­zu­neh­men. Wir haben ein Mit­tel dage­gen: Wir müs­sen aus Rück­sicht von­ein­an­der Abstand hal­ten. Der Rat der Viro­lo­gen ist ja ein­deu­tig: Kein Hand­schlag mehr, gründ­lich und oft die Hän­de waschen, min­des­tens ein­ein­halb Meter Abstand zum Nächs­ten und am bes­ten kaum noch Kon­tak­te zu den ganz Alten, weil sie eben beson­ders gefähr­det sind. Ich weiß, wie schwer das ist, was da von uns ver­langt wird. Wir möch­ten, gera­de in Zei­ten der Not, ein­an­der nah sein.
Wir ken­nen Zuwen­dung als kör­per­li­che Nähe oder Berüh­rung. Doch im Augen­blick ist lei­der das Gegen­teil rich­tig. Und das müs­sen wirk­lich alle begrei­fen: Im Moment ist nur Abstand Aus­druck von Für­sor­ge. Der gut­ge­mein­te Besuch, die Rei­se, die nicht hät­te sein müs­sen, das alles kann Anste­ckung bedeu­ten und soll­te jetzt wirk­lich nicht mehr statt­fin­den. Es hat sei­nen Grund, war­um die Exper­ten sagen: Groß­el­tern und Enkel soll­ten jetzt nicht zusam­men­kom­men.
Wer unnö­ti­ge Begeg­nun­gen ver­mei­det, hilft allen, die sich in den Kran­ken­häu­sern um täg­lich mehr Fäl­le küm­mern müs­sen. So ret­ten wir Leben. Das wird für vie­le schwer, und auch dar­auf wird es ankom­men: nie­man­den allein zu las­sen, sich um die zu küm­mern, die Zuspruch und Zuver­sicht brau­chen. Wir wer­den als Fami­li­en und als Gesell­schaft ande­re For­men fin­den, ein­an­der bei­zu­ste­hen. Schon jetzt gibt es vie­le krea­ti­ve For­men, die dem Virus und sei­nen sozia­len Fol­gen trot­zen.
Schon jetzt gibt es Enkel, die ihren Groß­el­tern einen Pod­cast auf­neh­men, damit sie nicht ein­sam sind. Wir allen müs­sen Wege fin­den, um Zunei­gung und Freund­schaft zu zei­gen: Sky­pen, Tele­fo­na­te, Mails und viel­leicht mal wie­der Brie­fe schrei­ben. Die Post wird ja aus­ge­lie­fert. Man hört jetzt von wun­der­ba­ren Bei­spie­len von Nach­bar­schafts­hil­fe für die Älte­ren, die nicht selbst zum Ein­kau­fen gehen kön­nen. Ich bin sicher, da geht noch viel mehr und wir wer­den als Gemein­schaft zei­gen, dass wir ein­an­der nicht allein las­sen.
Ich appel­lie­re an Sie: Hal­ten Sie sich an die Regeln, die nun für die nächs­te Zeit gel­ten. Wir wer­den als Regie­rung stets neu prü­fen, was sich wie­der kor­ri­gie­ren lässt, aber auch: was womög­lich noch nötig ist. Dies ist eine dyna­mi­sche Situa­ti­on, und wir wer­den in ihr lern­fä­hig blei­ben, um jeder­zeit umden­ken und mit ande­ren Instru­men­ten reagie­ren zu kön­nen. Auch das wer­den wir dann erklä­ren. Des­we­gen bit­te ich Sie: Glau­ben Sie kei­nen Gerüch­ten, son­dern nur den offi­zi­el­len Mit­tei­lun­gen, die wir immer auch in vie­le Spra­chen über­set­zen las­sen.
Wir sind eine Demo­kra­tie. Wir leben nicht von Zwang, son­dern von geteil­tem Wis­sen und Mit­wir­kung. Dies ist eine his­to­ri­sche Auf­ga­be und sie ist nur gemein­sam zu bewäl­ti­gen. Dass wir die­se Kri­se über­win­den wer­den, des­sen bin ich voll­kom­men sicher. Aber wie hoch wer­den die Opfer sein? Wie vie­le gelieb­te Men­schen wer­den wir ver­lie­ren? Wir haben es zu einem gro­ßen Teil selbst in der Hand. Wir kön­nen jetzt, ent­schlos­sen, alle mit­ein­an­der reagie­ren. Wir kön­nen die aktu­el­len Ein­schrän­kun­gen anneh­men und ein­an­der bei­ste­hen.
Die­se Situa­ti­on ist ernst und sie ist offen. Das heißt: Es wird nicht nur, aber auch davon abhän­gen, wie dis­zi­pli­niert jeder und jede die Regeln befolgt und umsetzt. Wir müs­sen, auch wenn wir so etwas noch nie erlebt haben, zei­gen, dass wir herz­lich und ver­nünf­tig han­deln und so Leben ret­ten. Es kommt ohne Aus­nah­me auf jeden Ein­zel­nen und damit auf uns alle an.
Pas­sen Sie gut auf sich und auf Ihre Liebs­ten auf. Ich dan­ke Ihnen.