Osna­brü­cker Sozi­al­fo­rum “Jugend­kri­mi­na­li­tät”

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Sozialforum zur JugendkriminalitätAm Mitt­woch Abend ver­folg­ten über 100 Inter­es­sier­te die Podi­ums­dis­kus­si­on des Osna­brü­cker Sozi­al­fo­rums zum The­ma Jugend­kri­mi­na­li­tät. Neben einer Bestands­auf­nah­me dis­ku­tier­ten hier Refe­ren­ten aus nahe­zu allen fach­spe­zi­fi­schen Berei­chen — unab­hän­gig von Wahl­kämp­fen — über Lösungsvorschläge.
Bür­ger­meis­ter Burk­hard Jasper eröff­ne­te das zwei­te von der CDU orga­ni­sier­te Osna­brü­cker Sozi­al­fo­rum mit der Fest­stel­lung, dass in Osna­brück sehr viel für Kin­der und deren Eltern getan wer­de. Aller­dings müs­se man sich ange­sichts der Tat­sa­che, dass über­pro­por­tio­nal vie­le Migran­ten kri­mi­nell wer­den, fra­gen, ob die Unter­stüt­zung bei allen ankom­me. Zudem stell­te er klar, dass es bei die­ser Dis­kus­si­on kei­ne Igno­ranz von Fak­ten geben dürfe. 
Der Kri­mi­no­lo­ge und ehe­ma­li­ge Jus­tiz­mi­nis­ter des Lan­des Nie­der­sach­sen, Prof. Dr. Hans-Die­ter Schwind, erklär­te, Kri­mi­na­li­tät sei nor­mal und in jeder Gesell­schaft anzu­tref­fen. Man müs­se sich erst bei zuneh­men­den Straf­ta­ten Sor­gen machen. Den­noch sehe er Kri­mi­na­li­tät als Min­de­rung der Lebens­qua­li­tät, denn sie löse Bedroht­heits­ge­füh­le aus.
Die Sta­tis­ti­ken zei­gen, dass im Jahr 1991 bei­spiels­wei­se 160.000 Tat­ver­däch­ti­ge regis­triert wor­den sei­en, 2006 dage­gen 280.000. Den­noch kön­ne man von die­sen Zah­len nicht direkt auf die Kri­mi­na­li­tät schlie­ßen, denn es hand­le sich nur um die ermit­tel­ten Straf­tä­ter. Eine höhe­re Auf­klä­rungs­ra­te kön­ne die Ver­än­de­rung genau­so her­vor­ge­ru­fen haben. Außer­dem müs­se man die Ent­wick­lung lang­fris­tig sehen. Kur­ze Regie­rungs­pha­sen haben kei­nen unmit­tel­ba­ren Ein­fluss auf die Ent­wick­lung und das unab­häh­gig von den betrof­fe­nen Parteien.
Um die Sicher­heit wei­ter zu erhö­hen, for­der­te er eine sach­li­che Fort­set­zung der durch die Hes­sen-Wahl auf­ge­kom­me­nen Dis­kus­si­on. Es müs­se sowohl im Bereich der Repres­si­on, als auch der Prä­ven­ti­on Ver­bes­se­run­gen geben.
Die Tat­sa­che, dass bei Her­an­wach­sen­den, also bei allen jun­gen Men­schen zwi­schen 18 und 21 Jah­ren, haupt­säch­lich das Jugend­straf­recht ange­wen­det wer­de, kri­ti­sier­te Schwind. Es sei vom Gesetz her vor­ge­se­hen, dass für die­se Alters­grup­pe nur in Aus­nah­me­fäl­len von der Anwen­dung des Erwach­se­nen­straf­rechts abge­se­hen werde.
Den Vor­schlag, man sol­le die Höchst­stra­fe für Jugend­li­che von 10 auf 15 Jah­re anhe­ben, lehn­te er mit der Begrün­dung ab, nie­mand kau­fe sich vor einer Tat ein Straf­ge­setz­buch. Täter gehen davon aus, dass sie nicht erwischt wer­den. Dar­um sei es irrele­vant, wie hoch die Stra­fen sei­en. Ande­re Ideen begrüß­te er dage­gen, wie zum Bei­spiel die der Erzie­hungs­camps. Dabei warn­te er davor, trotz aller Kos­ten den Rot­stift nicht im Jugend­e­tat ein­zu­set­zen, denn das kön­ne letz­lich teu­er werden.
Bei der Bestands­auf­nah­me für unse­re Regi­on, vor­ge­nom­men durch den Poli­zeisprä­si­den­ten Osna­brücks, Rolf Sprink­mann, wur­de eins deut­lich: man kann bei Betrach­tung der Zah­len weder pau­schal von einer Ver­schlech­te­rung, noch von einer Ver­bes­se­rung der Situa­ti­on spre­chen. Wäh­rend bei­spiels­wei­se die Zahl der Dieb­stäh­le gesun­ken sei, habe es eine Zunah­me an Gewalt­ta­ten gege­ben. In der Zeit von 2000 bis 2006 habe es einen ste­ti­gen Anstieg der Tat­ver­däch­ti­gen­zah­len gege­ben, auf­fal­lend sei der dar­auf fol­gen­de „Aus­rei­ßer“, der in allen Sta­tis­ti­ken auf­tau­che. Im letz­ten Jahr sei die Zahl der Straf­ta­ten in fast allen Alters­grup­pen sprung­artig ange­stie­gen. Beson­ders auf­fäl­lig sei zudem die Zahl der Kör­per­ver­let­zun­gen unter Alko­hol­ein­fluss. Die Sta­tis­ti­ken zur Jugend­kri­mi­na­li­tät in Osna­brück ste­hen zum Down­load zur Verfügung.
Zu der Pro­ble­ma­tik der Natio­na­li­tä­ten sei zu beden­ken, dass Men­schen mit deut­schem Pass in Sta­tis­ti­ken als „deutsch“ ein­ge­stuft wer­den, unab­häh­gig von ihrer Her­kunft. Ver­su­che, Sta­tis­ti­ken mit Berück­sich­ti­gung eines Migra­ti­ons­hin­ter­grunds zu erstel­len, sei­en zwar unter­nom­men wor­den, aber auf­grund von Erfas­sungs­schwie­rig­kei­ten nicht immer gelun­gen. Bei all die­sen Dis­kus­sio­nen sei es aber „dumm“, wenn man pau­schal von Aus­län­der­kri­mi­na­li­tät spreche.
Aus der Pra­xis der Gerich­te berich­te­te der Jugend­rich­ter Bert Karr­asch. Sei­ner Mei­nung nach stel­len die Ange­klag­ten mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund den „weit über­wie­gen­den Teil“ dar. Das bestehen­de Sys­tem ist für ihn aus­ge­klü­gelt und des­halb in der Lage, in jedem ein­zel­nen Fall fle­xi­bel zu reagie­ren. Damit wür­de weit mehr als mit einer schlich­ten Fol­ge von Stra­fe auf Schuld erreicht. Eben die­se Fle­xi­bi­li­tät erklä­re auch, war­um das Jugend­straf­recht auch bei Her­an­wach­sen­den vor­wie­gend zum Ein­satz kom­me. Der Jugend­straf­voll­zug bie­te den Vor­teil, dass er jun­gen Men­schen mehr Chan­cen eröff­ne als der Erwach­se­nen­straf­voll­zug. Im Gegen­satz zu den Theo­re­ti­kern ist er der Mei­nung, dass das Jugend­straf­recht allen hel­fe und damit nicht abge­schafft wer­den dürfe.
Die Fra­ge nach einer Straf­er­hö­hung für Jugend­li­che beant­wor­te­te er pau­schal: Man müs­se bei Stra­fen immer beden­ken, wel­chen Lebens­ab­schnitt der Betrof­fe­ne im Gefäng­nis ver­brin­gen muss. Älte­ren Men­schen dür­fe man bei­spiels­wei­se nicht ein Ende ihres Lebens im Gefäng­nis zumu­ten. Das Glei­che gel­te aber auch für die „wich­tigs­ten Jah­re“ der Ent­wick­lung eines jun­gen Menschen.
Zum Modell des Warn­schuss­ar­rests merk­te der Jugend­rich­ter an, dass die­ser nur in den sel­tens­ten Fäl­len zum Ein­satz kom­men wür­de, aber den­noch sinn­voll sei.Statistiken zur Jugend­kri­mi­na­li­tät in Osnabrück
Den Vor­wurf, die Rechts­spre­chung sei im Nor­den Deutsch­lands libe­ra­ler als im Süden, wies Karr­asch mit einem Ver­weis dar­auf zurück, dass es bei­spiels­wei­se in Osna­brück ganz kla­re Regeln gebe, an die sich die Rich­ter hal­ten. Es gebe bei uns nie­man­den, der fünf oder sechs mal mit einer Bewäh­rung davon kom­me. Außer­dem han­deln Gerich­te im All­ge­mei­nen nur nach gel­ten­dem Recht und damit bun­des­weit ver­gleich­bar. Die Auf­ge­regt­heit um die­se Dis­kus­si­on sei damit falsch. Den­noch warn­te er vor einer Tole­ranz. Das „Abzie­hen eines Han­dys“ sei Raub oder räu­be­ri­sche Erpres­sung und dür­fe damit auf kei­nen Fall hin­ge­nom­men wer­den. Eine Ver­harm­lo­sung sei der „Ein­stieg in den fal­schen Weg“.
Eine oft dis­ku­tier­te Mög­lich­keit zur Erzie­hung kri­mi­nel­ler Jugend­li­cher, die der Erzie­hungs­camps, wur­de von dem Anti-Gewalt-Trai­ner Lars Geis­ler ver­tre­ten. Nach einer ent­spre­chen­den Aus­bil­dung grün­de­te er 2002 in Osna­brück das Pro­jekt „Faust“. Dabei wird ver­sucht, eine Bezie­hung zu den Jugend­li­chen zu ent­wi­ckeln und dadurch schließ­lich Talen­te zu för­dern. Aus­ge­hend von der Annah­me, 80% eines Straf­tä­ters sein „gut“, wird den Jugend­li­chen ver­sucht ein Weg auf­zu­zei­gen, ihre Fähig­kei­ten sinn­voll einzusetzen.
Die 1953 gegrün­de­te Osna­brü­cker Jugend- und Gerichts­hil­fe, ver­tre­ten durch Nico­la The­len, unter­stützt Jugend­li­che wie auch Rich­ter bei Gerichts­ver­fah­ren und hat dabei das Recht einen Urteils­vor­schlag zu äußern. Zudem arbei­tet sie im Bereich der Prä­ven­ti­on, der Nach­be­treu­ung und in Schu­len. Beson­de­re Auf­merk­sam­keit wer­de den Schul­schwän­zern gewid­met, die etwa ein Drit­tel der 1.381 Fäl­le im Jahr 2007, bei denen die Osna­brü­cker Jugend- und Gerichts­hil­fe betei­ligt war, aus­mach­ten. Der Anstieg die­ser Zahl hän­ge aber zum Teil auch mit der neu ein­ge­fürh­ten Mel­de­pflicht der Schu­len zusam­men. Auf­fäl­lig sei zudem, dass 75% der Straf­tä­ter männ­lich sein. 70% haben einen deut­schen Pass, Aus­län­der und Aus­sied­ler machen jeweils 15% aus.
Einig­keit herrsch­te unter den Refe­ren­ten also dar­über, dass die Jugend­kri­mi­na­li­tät nicht ein­fach igno­riert wer­den kann, son­dern als ernst­zu­neh­men­des Pro­blem – mög­lichst sach­lich – dis­ku­tiert wer­den muss. Außer­dem waren sich alle dar­über im Kla­ren, dass man vor allem bei der Prä­ven­ti­on anset­zen müs­se. Die Unter­stüt­zung der Jugend­li­chen in den Schu­len sei von gro­ßer Bedeu­tung, wie auch die Unter­stüt­zung der Eltern bei der Erziehung.